Physik III, WS 1992/93
Rechenübungen am 16. Dezember 1992
Phasen- und Gruppengeschwindigkeit
Die Ausbreitung einer einfachen harmonischen Welle geschieht mit einer Geschwindigkeit $v_{ph}$, die man Phasen- oder auch Wellengeschwindigkeit nennt. Eine Wellengruppe, die sich nach Fourier aus vielen Teilwellen verschiedener benachbarter Wellenlängen bzw Frequenzen aufbauen läßt, bewegt sich mit einer Gruppengeschwindigkeit $v_{gr}$. Gruppen- und Phasengeschwindigkeit sind verschieden, wenn Dispersion vorhanden ist, d.h. wenn die Wellengeschwindigkeit von der Wellenlänge bzw von der Frequenz abhängt. Die Gruppengeschwindigkeit ist die Signalgeschwindigkeit und im allgemeinen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Energie. Zwischen $v_{ph}$ und $v_{gr}$ bestehen folgende Zusammenhänge:
$\displaystyle v_{ph}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{\omega}{k} = \frac{2\pi \nu}{2\pi /\lambda} =
\lambda \nu$  
$\displaystyle v_{gr}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{d\omega}{dk} = v_{ph} - \lambda
\frac{dv_{ph}}{d\lambda}$  

Falls keine Dispersion vorhanden ist, d.h. $dv_{ph}/d\lambda = 0$, dann ist $v_{gr}=v_{ph}$.
Einige Besonderheiten müssen noch für Lichtwellen angeführt werden. Nach Vorlesung besteht die wichtige Beziehung:

\begin{displaymath}
k = \frac{2\pi}{\lambda} = \frac{\omega}{c} n
\end{displaymath}

wobei man beachten muß, daß $\lambda$ die Wellenlänge in dem Material ist, in dem sich die Welle ausbreitet. $\lambda$ ist insbesondere nicht die Vakuumwellenlänge. Die Phasengeschwindigkeit ist dann einfach

\begin{displaymath}
v_{ph} = \frac{\omega}{k} = \frac{c}{n},
\end{displaymath}

und die Gruppengeschwindigkeit

\begin{displaymath}
v_{gr} = \frac{c}{n} - \lambda \frac{d(c/n)}{d\lambda} =
\frac{c}{n} + \frac{\lambda c}{n^{2}} \frac{dn}{d\lambda}
\end{displaymath}

oder auch
\begin{displaymath}
v_{gr} = v_{ph} \left( 1 + \frac{\lambda}{n} \frac{dn}{d\lambda} \right)
\end{displaymath} (1)

Im allgemeinen drückt man bei der Dispersionsformel $n(\omega )$ bzw $n(\lambda )$ den Brechungsindex aber als Funktion der Vakuumwellenlänge $\lambda_{vak} = n \lambda$ des Lichtes aus. Hiermit ergibt sich eine andere Formel für die Gruppengeschwindigkeit. Zunächst ist

\begin{displaymath}
\frac{1}{v_{gr}} = \frac{dk}{d\omega} = \frac{n}{c} +
\frac{\omega}{c} \frac{dn}{d\omega}.
\end{displaymath}

Wegen $\omega = 2\pi c/\lambda_{vak}$ folgt $d\omega /d\lambda_{vak} = -(2\pi c/\lambda_{vak}^{2})$ und daher
\begin{displaymath}
\frac{1}{v_{gr}} = \frac{n}{c} - \frac{\lambda_{vak}}{c}
\...
...
\frac{\lambda_{vak}}{n} \frac{dn}{d\lambda_{vak}} \right)
\end{displaymath} (2)

Dieses kann man auch schreiben als:
\begin{displaymath}
v_{gr} = v_{ph} \frac{1}{1 - (\lambda_{vak}/n) (dn/d\lambda_{vak})}
\end{displaymath} (3)

In praktischen Anwendungen ist der Brechungsindex meistens als Funktion der Vakuumwellenlänge $\lambda_{vak}$ bzw Frequenz $\omega$ gegeben, manchmal aber auch als Funktion der Wellenlänge $\lambda = \lambda_{vak}/n $ in dem betreffenden Material. Im allgemeinen ergibt es sich aus dem Zusammenhang, ob die Vakuumwellenlänge oder die Wellenlänge in dem Material gemeint ist.
Aufgabe 1:
Unter der Wirkung von Schwere und Oberflächenspannung entstehen auf dem Wasser Oberflächenwellen, deren Wellengeschwindigkeit nach der Formel

\begin{displaymath}
v_{ph}^{2} = \frac{g}{k} + \frac{\sigma k}{\rho}
\end{displaymath}

gegeben ist. Hierbei ist $k=2\pi /\lambda$ die Wellenzahl, $\sigma$ die Oberflächenspannung, $\rho$ die Dichte und $g$ die Gravitationskonstante.
Bei welcher Wellenlänge ist die Phasengeschwindigkeit gleich der Gruppengeschwindigkeit ?
Aufgabe 2:
Bei der Federkette (siehe Aufgabe 1.4) und beim Wellenleiter (siehe Aufgabe 5.3) ergab sich für die Dispersion ein Ausdruck der Form

\begin{displaymath}
\omega = \Omega \; sin(\frac{ka}{2}),
\end{displaymath}

wobei $k$ die Wellenzahl und $a$ eine charakteristische Länge, nämlich der Abstand der Massenpunkte (Federkette) bzw der Abstand der Induktivitäten (Wellenleiter) ist.
a) Berechnen Sie die Phasen- und Gruppengeschwindigkeit als Funktion der Wellenlänge $\lambda$ und als Funktion der Frequenz $\omega$.
b) Wie groß ist insbesondere die Phasen- und Gruppengeschwindigkeit für $\omega = \Omega$, d.h bei der Grenzfrequenz ?

Aufgabe 3:
Gelbes Natriumlicht der Wellenlänge $589,6 \; nm$ wird durch $CS_{2}$ gelenkt. Der Brechungsindex bei dieser Wellenlänge beträgt $n=1,628$ und die Dispersion $dn/d\lambda = -1,6 \cdot 10^{3} \; cm^{-1}$. Um wieviel $\%$ unterscheiden sich Wellen- und Gruppengeschwindigkeit ?
Aufgabe 4:
In der Atomphysik und Quantenmechanik wird gezeigt, daß man auch massiven Teilchen eine Wellenlänge zuordnen muß. Für eine derartige Materiewelle eines mit der Geschwindigkeit $v$ bewegten Massepunktes $m$ gilt die Beziehung von de Broglie:

\begin{displaymath}
\lambda = \frac{h}{mv},
\end{displaymath}

wobei $h$ das Plancksche Wirkungsquantum ist. $h$ ist also insbesondere eine Konstante. Für die Frequenz der Welle gilt in Analogie zu den Lichtquanten die Beziehung $E=h \nu$ und $E^{2} = c^{2} (m^{2}c^{2} + (m v)^{2})$. Die Größe $\Lambda = h/(mc)$ nennt man die Comptonwellenlänge.
a) Berechnen Sie die Phasen- und Gruppengeschwindigkeit als Funktion der Wellenlänge.
b) Wie groß sind insbesondere die Phasen- und Gruppengeschwindigkeit für $m=0$, also für masselose Teilchen ?
Anmerkung zur Aufgabe 2 der Heimübungen Nr.9.
In dieser Aufgabe wurde der komplexe Brechungsindex in der Form $\tilde{n} = n - i\; \kappa$ geschrieben, während in der Vorlesung $\tilde{n} = n + i\; \kappa$ benutzt wurde. Der Unterschied bei dieser verschiedenen Schreibweise liegt im unterschiedlichen Ansatz für die Feldstärke begründet. Im ersten Fall schreibt man $\vec{E} = \vec{E_{0}} exp[i(\omega t - k z)]$, während im zweiten Fall der Ansatz $\vec{E} = \vec{E_{0}} exp[i(kz-\omega t)]$ benutzt wird. Das Vorzeichen vor dem Imaginärteil des Brechungsindex hat also keine tiefere Bedeutung, sondern hängt lediglich vom Ansatz für die Feldstärken ab.

Lösungen zu den Rechenübungen am 16.12.92.
Aufgabe 1:
Die Phasengeschwindigkeit ist gleich der Gruppengeschwindigkeit, falls $dv_{ph}/d\lambda = 0$. Daher

\begin{displaymath}
0 = \frac{dv_{ph}}{d\lambda} = \frac{(g/2\pi ) - (2\pi \sig...
...to \; \; \; \;
\lambda^{2} = \frac{4\pi^{2} \sigma}{\rho g}
\end{displaymath}

Für die Wellenlänge

\begin{displaymath}
\lambda = 2 \pi \sqrt{ \frac{\sigma}{\rho g}}
\end{displaymath}

ist $v_{gr}=v_{ph}$.
Aufgabe 2:

\begin{displaymath}
v_{ph} = \frac{\omega}{k} = \frac{\Omega}{k} sin(\frac{ka}{...
...
= \frac{\Omega}{2\pi} \lambda \; sin(\frac{\pi a}{\lambda})
\end{displaymath}

Wegen $\omega =\Omega sin(ka/2)$ folgt $k=(2/a) arcsin(\omega /\Omega)$ und daher auch

\begin{displaymath}
v_{ph} = \frac{a}{2} \frac{\omega}{arcsin(\omega/\Omega)}
\end{displaymath}

Für die Gruppengeschwindigkeit erhalten wir zunächst als Funktion der Wellenlänge:

\begin{displaymath}
v_{gr} = \frac{d\omega}{dk} = \frac{\Omega a}{2}
cos(\frac{ka}{2}) = \frac{\Omega a}{2} cos(\frac{\pi a}{\lambda})
\end{displaymath}

Um $v_{gr}$ als Funktion der Frequenz zu bestimmen, bemerkem wir zunächst daß nach Anmerkung zur Aufgabe
\begin{displaymath}
\frac{dk}{d\omega} = \frac{2}{a} \frac{d}{d\omega} arcsin(
...
...frac{2}{a \Omega}
\frac{1}{\sqrt{1-(\omega /\Omega )^{2} }}
\end{displaymath} (4)

ist. Daher folgt:
\begin{displaymath}
v_{gr} = \frac{1}{dk/d\omega} =
\frac{a \Omega}{2} \sqrt{1 - \left( \frac{\omega}{\Omega} \right)^{2}}
\end{displaymath} (5)

Bei der Grenzfrequenz $\omega_{g} = \Omega$ ist wegen $arcsin(1)=\pi/2$:

\begin{displaymath}
v_{ph}= \frac{\Omega a}{\pi} \; \; \; \; \; \; \; \; \; \; \; \; \; \;
v_{gr} = 0.
\end{displaymath}

Daher sperrt die Kette den Energietransport, während die Phasengeschwindigkeit weiterhin von Null verschieden ist.
Aufgabe 3:
Hier ist offensichtlich mit $\lambda$ die Vakuumwellenlänge $\lambda_{vak}$ gemeint. Daher
\begin{displaymath}
\frac{v_{gr}-v_{ph}}{v_{gr}} = 1 - \frac{v_{ph}}{v_{gr}} =
...
...\right) =
\frac{\lambda_{vak}}{n} \frac{dn}{d\lambda_{vak}}
\end{displaymath} (6)

Zahlenwerte:

\begin{displaymath}
\frac{v_{gr}-v_{ph}}{v_{gr}} = - 0.058 = - 5,8 \; \%
\end{displaymath}

Aufgabe 4:

\begin{displaymath}
v_{ph}^{2} = \nu^{2} \lambda^{2} = \frac{c^{2}}{h^{2}}
[m...
... = c^{2} \left( 1 +
\frac{\lambda^{2}}{\Lambda^{2}} \right)
\end{displaymath} (7)

Daher

\begin{displaymath}
v_{ph} = c \sqrt{1 + \frac{\lambda^{2}}{\Lambda^{2}} }
\end{displaymath}

Zur Berechnung der Gruppengeschwindigkeit bemerken wir, daß

\begin{displaymath}
\frac{dv_{ph}}{d\lambda} = \frac{c \lambda}{\Lambda^{2}}
...
...^{2}}} = \frac{c^{2} \lambda}
{\Lambda^{2}} \frac{1}{v_{ph}}
\end{displaymath}

Daher

\begin{displaymath}
v_{gr} = v_{ph} - \lambda \frac{dv_{ph}}{d\lambda} =
v_{p...
...^{2} \lambda^{2}/\Lambda^{2}}{v_{ph}}
= \frac{c^{2}}{v_{ph}}
\end{displaymath}

Also:

\begin{displaymath}
v_{gr} = \frac{c^{2}}{v_{ph}} = \frac{c}{\sqrt{1 + \lambda^{2}/\Lambda^{2}}}
\end{displaymath}

Die Phasengeschwindigkeit ist also immer größer als die Lichtgeschwindigkeit $c$, die Gruppengeschwindigkeit dagegen kleiner als $c$. Die Materiewellen müssen natürlich auch für den Grenzfall $m \to 0$ (Lichtwellen im Vakuum) vernünftige Ergebnisse liefern. In diesem Fall ist $\Lambda \to \infty$ un daher tatsächlich $v_{ph}=v_{gr}=c$.



Harm Fesefeldt
2007-08-23